Quantcast
Channel: Lustenau – VOL.AT
Viewing all articles
Browse latest Browse all 12621

Die verdrängten Jahre

$
0
0

 VN-Heimat-Interview: mit Dr. Wolfgang Scheffknecht, Oliver Heinzle und Daniel Steinhofer.

          In den Archivgesprächen wurde die heikle NS-Vergangenheit thematisiert.

Lustenau.(bet) Hochkarätig besetzt waren sowohl die Archivvorträge mit Götz Aly und Klaus Dörner als auch die Archivgespräche mit Thomas Albrich, Meinrad Pichler, Norbert Schnetzer, Leo Haffner, Hans-Peter Link, Wolfgang Scheffknecht und Oliver Heinzle. Im VN-Heimat-Interview rekapitulieren die Gemeindearchivare Wolfgang Scheffknecht und Oliver Heinzle sowie Kulturreferent Daniel Steinhofer nochmals wichtige Themenbereiche.

Wie bewerten Sie rückblickend die Archivvorträge bezw. Archivgespräche?

Oliver Heinzle: Teilweise  sehr ins Detail gehend. Oft berührend und bedrückend zugleich. Die Veranstaltungen haben thematisch einen schönen Bogen gespannt.

Wolfgang Scheffknecht: Die Publikumsresonanz war stärker als erwartet. Im Rathaussaal ebenso wie im Reichshofsaal. Aufschlußreiche Vorträge ergänzt durch eine Matinee fanden einen großen Widerhall im Publikum. Erfreulich ist, dass sich ein historisch interessiertes Stammpublikum etablierte.

Daniel Steinhofer: Ein fundiertes Rahmenprogramm, das alles abdeckte. Auch vom Informationsgehalt, der sehr gut angenommen wurde. Insgesamt bin ich stolz auf das umfangreiche Programm, das schlußendlich entstanden ist.

Können wir nochmals verführt werden von Diktaturen wie sie von 1934 – 1945 herrschten?

Wolfgang Scheffknecht: Ganz gleich sicher nicht. Unter gewissen Umständen allerdings ist eine straffe Staatsführung durchaus denkbar: Öko-Diktatur, Wirtschafts-Diktatur (Chines. System).

Oliver Heinzle: Man denke nur an das Milgram-Experiment und das Stanford-Prison-Experiment: also daran wie Menschen auf Autoritäten ansprechen und an die dem Menschen innewohnende Aggression.

Daniel Steinhofer: Unsere Chance und Aufgabe zugleich ist es, in möglichst vielen Menschen die Erinnerung daran wachzuhalten, so dass eine gewisse Sensibilität gegenüber solchen Entwicklungen wächst.

Wenn schon über den Widerstand geschwiegen wurde, dann verwundert es kaum, dass über Krieg und NS-Zeit ebenfalls geschwiegen wurde.

Wolfgang Scheffknecht: Nicht alle Menschen, die Widerstand geleistet haben sind ins Netz des NS-Verfolgungsapparates geraten, demzufolge haben sie keine Spuren hinterlassen. Darüber hinaus haben viele nach 1945 über ihr Handeln geschwiegen. Der Widerstand gegen das NS-Regime, 1945 als Basis des neuen Österreich gefeiert, war nur kurze Zeit identitätsstiftend. Unter dem Vorzeichen von Kaltem Krieg und Re-Integration der ehemaligen Nationalsozialisten veränderten sich die geschichtspolitischen Rahmenbedingungen. Seit Ende der 1940er Jahre wurden die österreichischen Soldaten der Wehrmacht als “tapfere Helden” die “die Heimat” gegen “den Feind verteidigt” haben geehrt. Widerstandskämpfer galten nun als “Vaterlandsverräter” oder “Kameradenmörder”.

Oliver Heinzle: Viele der Täter, aber teilweise auch die Opfer schwiegen nach 1945 aus Schamgefühl. Zu den vielen Schutzbehauptungen nach dem Zweiten Weltkrieg gehört diejenige, man habe “von allem nichts gewusst”.

Daniel Steinhofer: Schweigen ist Teil unserer Geschichte und Kultur. Bis heute ist immer wieder die Forderung nach einem “Schlußstrich” zu hören, wenn die nationalsozialistischen Verbrechen thematisiert werden. Andererseits: Je länger der Zweite Weltkrieg zurückliegt, umso mehr beschäftigt er die Menschen.

Warum sind so wenige Soldaten desertiert? Lag es an den Standgerichten, die Fahnenflüchtige ohne Umstände zum Tode verurteilt hätten?

Oliver Heinzle: Die Deserteure der Wehrmacht – die genaue Zahl ist unbekannt, 15000 verurteilte die NS-Militärjustiz zum Tode (laut SPIEGEL) – waren nach 1945 Gegenstand außerordentlich wechselhafter öffentlicher und wissenschaftlicher Diskussionen. Im Allgemeinen ist der Soldat seiner militärischen Gehorsamspflicht gefolgt; er hat den Gehorsam nicht verweigert. Die Angst um das eigene, aber auch um das Leben der Kammeraden, hat dabei sicher eine Rolle gespielt.

Wolfgang Scheffknecht: Ab 1943 ist sehr vielen Soldaten und Offizieren längst klar gewesen, dass der Krieg in Russland nicht mehr zu gewinnen und – wegen der klaren Mordbefehle gegen Zivilisten und Gefangene – ein geplantes Staatsverbrechen Hitlers war. Jeder Widerstand gegen das Hitler-Regime wurde nach Möglichkeit totgeschwiegen, weil er die Massen von Mitläufern und Kriegsbefürwortern infrage stellte. Dies ist auch der Grund, warum Deserteure von manchen bis heute als “Verräter” diffamiert werden. Im Rahmen der Sippenhaftung wurde die Bevölkerung terrorisiert, zur Denunziation aufgefordert und kollektiv eine Art Selbstüberwachung geschaffen.

Daniel Steinhofer: Die Nationalsozialisten versuchten, über Verschleppungs- und Todesdrohungen, Ankündigungen von KZ Haft und weiteren massiven Druck gegen Familien von untergetauchten Regime- und Kriegsgegnern der Lage Herr zu werden und den Widerstand zu brechen.

Wie gingen Mütter und Frauen mit dem Thema um?

Wolfgang Scheffknecht: Frauen, die ihre Männer in die Schlacht ziehen ließen, waren Hitlers Heldinnen. Verstärkt beachten sollte man jedoch deren ambivalente Rolle im Krieg, ihre Schuld aber auch ihr Leid. Die Männer ziehen zu lassen, sie womöglich in den Tod zu verabschieden, das wurde den Frauen schon immer als Beitrag zum Krieg abverlangt. Im Nationalsozialismus aber ist vor allem der Mutterschaft ein “kriegerischer Aspekt” verliehen worden.

Oliver Heinzle: Dass Frauen sich haben einspannen lassen in Hitlers Volksideologie, dass sie Mutterkreuze entgegennahmen und teilweise stolz auf ihre “für den Führer” gefallenen Söhne waren, daran liegt es möglicherweise, dass sich die Wissenschaft nach dem Krieg teilweise schwer damit tat, die Schicksale der Frauen im Zweiten Weltkrieg zum Thema zu machen.

Daniel Steinhofer: Es war so eine Mischung aus Mitgefühl für die “schrecklichen Verlusterfahrungen” und “Erstaunen über das Einverständnis” mit dem Krieg. Die Folge: “Das Bild der Frauen und Mütter als Akteurinnen im Dritten Reich bleibt unscharf.”

Welche Auswirkungen hat das jahrzehntelange Schweigen über die NS-Zeit auf unsere Gesellschaft – möglicherweise bis heute – gehabt?

Wolfgang Scheffknecht: Die Erziehungsstile waren geprägt von Strenge, Härte, Abläufe gemäß dem Motto: “hart wie Kruppstahl” oder “was mich nicht umhaut, macht mich nur stärker”. Das hat gepaart mit der Indoktrination solcher Werte wie Leistungsbereitschaft und “arische Reinrassigkeit” fatale Auswirkungen auf die nachkommenden Generationen gehabt.

Oliver Heinzle: Die Opferrolle, das Selbstmitleid, die Rechtfertigungen, all das funktionierte ab einer gewissen Zeit nicht mehr. Zudem konnte der zeitliche Abstand der Enkelgeneration eine neue Dynamik in die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit bringen.

Daniel Steinhofer: Nach über sechs Jahrzehnten sind sichtbare Wunden des Zweiten Weltkrieges und des NS-Terrors – außer in Gedenkstätten – kaum noch zu finden. Aus unserer Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sowie mit deren Auswirkungen für Gegenwart und Zukunft können wir aber viele Menschen zum Widerstand gegen jegliche Formen von Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung von Minderheiten erziehen. Und das ist schließlich unser Ziel.                

Vielen Dank für das Gespräch. 

 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 12621